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26.08.2014

Pflastersteinweitwurf

Renate Liest: „Gleisdreieck. Berlin 1981" von Jörg Ulbert (Szenario) und Jörg Maillet (Zeichnung).

Etwas ist merkwürdig daran, wie Otto zu Beginn der Geschichte nach Berlin kommt. Direkt nach seiner Landung in Tegel hat er schon genug Geld, um sich Möbel zu kaufen. Seine Fächerkombination an der Uni wählt er, weil ein noch unbekannter "er" das Gleiche studiert. Und bei seinem Taxischein darf er nicht durchfallen, weil er einen zu strengen Zeitplan hat.

Denn Otto ist gar kein normaler Linksradikaler sondern Zivi vom BKA und nicht nach Berlin gekommen, um dem Wehrdienst zu entgehen, sondern, um den Terroristen Martin zu finden. "Gleisdreieck" erzählt eine Fahndungsgeschichte aus dem Umfeld der zweiten RAF-Generation und Westberliner Hausbesetzer der Achtziger.

Ein weiterer Berlin-Comic also. Als Teilzeit-Comicverkäuferin weiß Renate: Berlin-Comics sind immer beliebt, vor allem solche mit der Mauer auf dem Cover. Nun hat das im Berlin Story Verlag erschienene "Gleisdreieck" zwar nicht die, aber doch zumindest irgendeine Mauer auf dem Cover. Und ein paar Bullen in Kampfmontur.

Der Comic über Otto und Martin kann allerdings viel mehr, als nur auf den Mauer-Hype aufspringen. Die zentrale Kriminalgeschichte ist sehr spannend erzählt und unaufdringlich mit begrenzter Farbpalette computercoloriert. Durch den lockeren aber präzisen Zeichenstil sind viele Berliner Orte gut erkennbar und nicht wenige sehen noch heute genauso aus.

Neben solcher Berlin-Pornografie bietet "Gleisdreieck" natürlich auch so einiges an Revolutionsromantik. Die Beschreibungen, wie die Aktivisten Bomben bauen oder Entführungen planen, machen direkt Lust auf Terrorismus! Und wenn euch das Buch nicht auf die Straße oder in den Untergrund treibt, dann doch wenigstens in die Comicbibliothek, wo ihr "Gleisdreieck" ab heute ausleihen könnt.

09.07.2014

Blühende Landschaften

Renate Liest: „Mensch wie Gras wie" von Dietmar Dath (Szenario) und Oliver Scheibler (Zeichnung)

Eines Tages wusste D. nicht mehr wohin mit seinem Schreibdrang und so beschloss er, einen Comic zu machen. Als er damit fertig war, erklärte er seinen Comic noch in einem vierzehnseitigen Nachwort. D. wusste natürlich, dass dies die Leserin ärgern würde aber wenigstens verwendete er in jenem Nachwort Worte wie "Schwanzzerkleinerer", das stimmte die Zürnende wieder versöhnlich.

Dietmar Dath hat also ein Nachwort zu einem Comic geschrieben. Nun ist dieses Nachwort inhaltlich nicht komplett überflüssig, sondern unterhält durch interessante Beobachtungen und Anekdoten. Schöner noch wäre jedoch ein Comic gewesen, der nicht durch ergänzenden Fließtext weitere Tiefe erhält. Denn dem Nachwort vorangestellt haben Szenarist Dath und Zeichner Oliver Scheibler auf fast 200 großformatigen Seiten einen beeindruckenden Comic über Wissenschaft und Liebe.

Die Biologin Elin Elwert arbeitet zunächst in Tokyo an Mäusen und kehrt dann nach Deutschland zurück um für den bereits im zweiten Panel als gruselig inszenierten Investor Farczády an Gras zu forschen. Gras wie in Wiese. Währenddessen geraten Elins Beziehungen zu dem Bioinformatiker Thomas und ihrer alten Freundin Martin/Martina in Krisen, die auch teilweise mit demGras in Verbindung stehen.

Die scheinbar unzerstörbare, genmanipulierte, invasive Spezies ist gleichzeitig Wissenschaftsutopie, Geldquelle, Nahrungsmittel, Talkshow-Diskussionsgegenstand und Alptraum. Unausgesprochene Fragen dazu ziehen sich durch die ganze Geschichte: Wem gehört das Gras? Und wer mäht dann den Rasen?

Womit „Mensch wie Gras wie“ am meisten beeindruckt, ist das Seitenlayout. Clever platzierte, assoziative Panels oder ganze Seiten, oft in surrealer oder symbolischer Art, erinnern stark an Charles Burns. So wird die Erzählung immer wieder unterbrochen von einem Go-Spielbrett, das immer weiter aus der Ordnung gerät. Zeitsprünge in der Geschichte werden mit kurzen Bilderfolgen eingeleitet in denen sich Gesicht, Kleidung und Frisur der Charaktere ändern. Den Beginn der Beziehung zwischen Elin und Thomas zeichnet Scheibler subtil in Form eines Bechers, dem eine zweite Zahnbürste gewachsen ist.

Körperproportionen, Bewegungen und leider auch Mimik sind hingegen häufig ungelenk gezeichnet - unpassend zum ansonsten anatomisch realistischen Zeichenstil. Ebenfalls schade ist, dass die Charaktere in Dialogen offensichtlich ihre Sätze nicht beenden können. Es gibt ... einfach ... zu ... viele ... Auslassungspunkte.

Die durchaus spannende Geschichte gerät dadurch zum Glück nicht übermässig ins Stocken. Dialoge sind ja nicht alles, auch wenn D. einen Teil seines Nachwortes dem Plädoyer für sie widmet. „Mensch wie Gras wie“ erschien im Verbrecher Verlag und ist seit heute auch bei uns in der Bibliothek zu finden.